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Kommentar

(K)eine Lust auf Überstunden: FDP schaut zurück statt nach vorn

Mehrarbeit als interessanter Zusatzverdienst? Das schwebt der FDP vor. Dieser Ansatz ist allerdings nicht durchdacht: Überstunden bringen nämlich nicht zwangsläufig mehr Leistung.

4 Min.
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Arbeitszeit muss nicht unbedingt produktiv sein – vielleicht haben die Kolleg:innen aber auch die Aufgabe, Social-Media-Content zu erstellen.(Bild: Ann Kosolapova / Shutterstock)

Arbeit soll sich lohnen – und Überstunden erst recht. Das hat sich die Freie Demokratische Partei (FDP) überlegt und in ihrem Präsidiumsbeschluss vom 8. April 2024 festgelegt. Sie fordert einen Steuervorteil für geleistete Überstunden. „Die steuerlichen Vorteile sollen für über die volle Arbeitszeit hinausgehende Überstunden gestattet werden“, so steht es unter dem ersten Punkt in dem öffentlich einsehbaren Dokument.

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Grundsatz: Maximal acht Stunden reguläre Arbeit pro Tag

Arbeitsschutz gelte damit weiterhin: In Deutschland liegt die Höchstarbeitszeit bei zehn Stunden pro Tag, aufgeteilt in acht Stunden reguläre Arbeitszeit und zwei Stunden Mehrarbeit. Maximal sind pro Woche übrigens 48 Stunden Arbeit erlaubt – inklusive Mehrarbeit.

Mehrarbeit, das sind Überstunden; das ist Arbeit, die außerordentlich geleistet wird, eine Ausnahme. Für die FDP soll sie wohl eher ein besonderer Leistungsnachweis werden. Mit Steuererleichterungen, deren genaue Form übrigens offen ist, soll die Mehrarbeit attraktiv werden.

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Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner beschwört eine Wirtschaftswende, in der ARD-Sonntagssendung von Caren Miosga am 7. April 2024 sagte er, man wolle „Leuten vielleicht Lust machen auf die Überstunde“. Diskussionen über die 35-Stunden-Woche, über weniger Arbeitszeit als Ziel für aktuelle und künftige Arbeitnehmer:innen, kann er wohl nicht nachvollziehen, denn vorher machte der Finanzminister in der Sendung klar: „Arbeit ist doch mehr, das ist doch auch Sinnstiftung, strukturiert den Alltag, verbessert die Lebenschancen.“

Rückwärtsgerichtete Sicht auf die Arbeitszeit

Ein Zitat, das eine rückwärtsgerichtete Sicht auf das Thema Arbeit zeigt. Arbeit ist ein Teil des Alltags und kann auch nur ein finanzieller Hebel sein, um Raum für das tatsächlich Sinnstiftende in der Freizeit zu haben.

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Mehrarbeit ist ein Zusatz zur regulären Arbeit, der in einem Arbeitsvertrag geregelt sein muss und ohne Regelung nur zulässig ist, wenn das Unternehmen existenzielle Schwierigkeiten hat, denen durch Mehrarbeit begegnet werden kann. Mehrarbeit soll eine Ausnahme sein, nicht ein Dauerzustand – damit ist Mehrarbeit auch keine verlässliche Einnahmequelle für Arbeitnehmer:innen. Überstunden sind kein Leistungsnachweis und kein Produktivitätsmesser. Wer mehr arbeitet, ist außerdem nicht unbedingt produktiver.

Mehrarbeit ≠ mehr Produktivität

Rein theoretisch könnten Arbeitnehmer:innen, sollte die FDP diesen Vorschlag durchbringen, auch einfach durch unproduktivere Handlungen ihre Arbeitszeit ausweiten. Mehr Gänge zur Kaffeemaschine, mehr mit Kolleg:innen sprechen: Die Aufgaben wurden in der regulären Arbeitszeit leider nicht geschafft, da müssen Überstunden her. Wer weniger Wert auf seine Freizeit legt, könnte so mit Mehrarbeit nett dazuverdienen. Wer hingegen auf seine Freizeit angewiesen ist, um sie etwa für Kindererziehung zu nutzen, oder eine andere Arbeitsmoral hat, wird auf diesem Weg keine steuerlichen Vorteile von Mehrarbeit nutzen.

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Insgesamt ist Mehrarbeit für Arbeitgeber:innen kein Versprechen für mehr Produktivität und sorgt zudem für zusätzliche Kosten: Die Bezahlung erfolgt schließlich zusätzlich zum Gehalt. Eine Garantie, dass die Mehrarbeit positiv auf die Wirtschaftsleistung wirkt, gibt es dabei nicht. Ihr Nutzen ist von dem abhängig, was Arbeitnehmer:innen daraus machen.

Weniger Steuereinnahmen für den Staat

Auch der Staat würde durch den in dem FDP-Beschluss genannten Punkt auf Steuereinnahmen verzichten. Diese könnte er aber gut gebrauchen – die Diskussion um das Loch im Staatshaushalt ist noch nicht lang her, und teilweise unklar ist, wie Investitionen getätigt werden sollen, um Deutschland als Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig zu halten. Hart gesagt: Aktuell steht auf dem Spiel, dass wir den gewohnten Wohlstand halten können. Das ist das übergeordnete Problem, unter dem diese „Lust auf die Überstunde“ gesehen werden sollte.

Die FDP orientiert sich zur Lösung dabei an einem alten Arbeitsbild nach dem Motto „viel Arbeitszeit = viel Produktivität“. Dabei sollte sie doch selbst wissen – als Partei, die sich einst der Digitalisierung verschrieb –, dass es nicht um mehr Arbeitszeit, sondern um sinnvolles Nutzen der Zeit gehen sollte. Smarte Arbeit führt zu mehr Produktivität, ganz ohne Mehrarbeit.

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Starke Wirtschaft lebt von smartem Arbeiten

Smart, das bedeutet: Arbeitszeit sinnvoll nutzen, möglichst wenig Zeit investieren – denn Zeit ist das Teuerste. Der Faktor Mensch ist das, was Unternehmen Geld kostet. Stellen wir uns vor: Wir würden Unternehmen dazu anhalten, die Digitalisierung anzutreiben, um dank technischer Unterstützung repetitive Aufgaben nicht mehr von Menschen machen zu lassen. Schaffen Arbeitnehmer:innen die ihnen zugewiesenen Aufgaben schließlich in der Arbeitszeit, müssen Arbeitgeber:innen auch nicht zusätzlich Mehrarbeit bezahlen. Das ist ein Gewinn für alle Seiten.

Um Arbeitnehmer:innen zu einem effektiven und effizienten Arbeiten zu bringen, sollten außerdem alle strukturiert arbeiten können – sonst nützt auch die Digitalisierung nichts. Arbeit allein schafft schließlich keine Struktur, sondern nur Aufgaben, die strukturiert werden müssen. Management lernt nicht jede:r, dabei könnte es auf dem Weg zu mehr Arbeitsleistung durch kurze Workshops in Unternehmen vermittelt werden. Finanziell könnte es zudem seitens der Unternehmen steuerfreie Sonderzahlungen geben, etwa wenn ein bestimmtes Produktivitätsziel erreicht wurde. Damit würde der Fokus auf effektiver und effizienter Arbeit liegen, die keine möglicherweise unnötigen Kosten verursacht.

All das wären moderne Wege, der Wirtschaft in Deutschland zu helfen. Dafür müssten sich allerdings diejenigen, die diese Entscheidungen vorantreiben, von alten Denkmustern lösen und zukunftsorientiert handeln. Gerade Parteien, die sich selbst als zukunftsorientiert sehen, sollten den Mut dazu haben, tatsächlich diese neuen, smarten Wege zu gehen.

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